Berlin - Sommertörn 2012

Etappe 5: Berlin und umliegende Dörfer

In unmittelbarer Nachbarschaft - der Reichstag - Deutsche Geschichte pur - irgendwie ein ganz besonderer Ort! Nicht nur die Vorbeifahrt mit dem Boot ist etwas Tolles, auch der Besuch als Landratte ist jedes Mal wieder ein Ereignis. Wer Zeit hat und sich anstellen kann sollte auf jeden Fall nach oben in die Kuppel steigen. Ein Gebäude dass Deutsche Geschichte gemacht hat und in dem Deutsche Geschichte gemacht wurde (und wird).

Besuch von der Landseite - Der Reichstag in seiner ganzen einmaligen Schönheit. Was hat er alles gesehen? Endlose Planung, Grundsteinlegung 1884 - Wilhelm I. zerspringt der Hammer - Wilhelm II. nennt ihn den Gipfel der Geschmacklosigkeit und ein Reichsaffenhaus. 1894 dann der Schlussstein, Wilhelm II. findet lobende Worte doch verhindert 20 Jahre lang die Inschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE die erst 1916 angebracht wird.

1918 ruft Scheidemann hier die Republik aus, 1933 brennt der Reichstag, die Schuldfrage ist bis heute nicht geklärt. Die Nazis machen es sich einfach - wir alle kennen die Geschichte. Ausstellungen wie "Der ewige Jude" und andere Machwerke werden in der notdürftig instand gesetzten Ruine gezeigt, das Parlamant (nur noch aus nationalsozialistischen Abgeordneten bestehend) tagt andernorts. Im Krieg werden die Fenster zugemauert, AEG produziert im Reichstag und die Gynäkologie der Charité zieht ein - einige Hundert Berliner wurden hier geboren! Am 30.4.1945 schließlich weht die Rote Fahne über dem Reichstag, das berühmte Foto wurde nachgestellt, zu heftig waren die Kämpfe. Ab 1955 wird der Reichstag wieder aufgebaut, stark verändert innen wie außen - der Bundestag aber darf dort nicht tagen, nur Auschüssen und Fraktionen ist dies erlaubt. Die Ausstellung "Fragen an die Deutsche Geschichte" im Reichstag gehört in der Zeit zum Pflichtprogramm eines Berlin-Besuchs, von der Terrasse des Reichstages aus konnte man über die Mauer schauen. Seit der Wende ist er wieder Sitz des Parlamentes. Vergessen: Die Querelen um die Kuppel - Architekt Norman Foster wollte sie nicht - und, ganz wichtig: 1995 wird er verpackt. Natürlich von den Menschen mit der Lizenz für die ganz großen Pakete: Christo und Jeanne-Claude.

Die Einheitsfahne misst 6 x 10 Meter - so ein riesiges Tuch hat eine ganz eigene Dynamik. Das ist kein Flattern, das ist ein majestätisches Wogen was diese gigantische Flagge da zeigt. Sie ist ein Denkmal, wird nie gestrichen und selbst bei Staatstrauer nicht auf Halbmast gesetzt.

Direkt am Reichstag - Mauerverlauf im Boden - 1961-1989 - fast dreißig Jahre zog sich der Todesstreifen quer durch die Stadt, quer durch das Land. 1.400 Kilometer von der Rhön bis zur Lübecker Bucht. Jeder hat das denkwürdige Zitat gehört und gesehen, Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961: „Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Mir ist nicht bekannt, dass [eine] solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft dafür voll ausgenutzt wird, voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Am 13. August, keine zwei Monate später wurde dann gemauert. Heute markiert eine Doppelreihe Pflastersteine den Verlauf der Mauer. Auch ihr Fall war live zu verfolgen, wieder eine Pressekonferenz, Günter Schabowski, schlecht vorbereitet im Internationalen Pressezentrum vergallopiert sich um 18:53 Uhr bei einer Frage des Korrespondenten der italienischen Agentur ANSA, Riccardo Ehrman. Ehrmann fragt nach Fehlern beim Reisegesetz, Schabrowski schwadroniert herum und dann fällt ihm anscheinend ein dass er die neuen Reiseregeln vorstellen sollte, es raschelt, er sucht nach dem Papier und erklärt: „Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“ Zwischenfrage: „Ab wann tritt das in Kraft? Ab Sofort?“ Wieder blättern und um 18:57 Uhr verliest er dann das komplette Papier, erneute Zwischenfrage „Wann tritt das in Kraft?“ und darauf stottert Schabowski diesen schönen Satz der alles ändert „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“. Die folgende Nacht kommen viele Menschen nicht ins Bett, Trabbis erobern die BRD, die Fernsehszenen sind uns allen noch vor Augen.

Am „antifaschistischen Schutzwall“ galt seit 1960 der Schießbefehl. Zur Zeit beginnt ein großes Forschungsprojekt - man will versuchen die genaue Zahl der Opfer zu bestimmen um den Toten "Namen, Gesicht und ihre Würde" (Kulturstaatsminister Neumann) wieder zu geben. Endlich. Für Berlin ist die Zahl der Mauertoten recht genau bekannt, es sind mindestens 136 Menschen bei Fluchtversuchen ermordet worden. Aber für die gesamte innerdeutsche Grenze gibt es keine Zahlen, allein bei der Flucht über die Ostsee sollen 250 Menschen umgekommen sein, das private Museum am Checkpoint Charly geht von etwa 1.676 Toten aus. In einigen Jahren werden wir mehr wissen. Gerade wird in Berlin diskutiert eine Straße nach Peter Fechter zu benennen. Man glaubt es ja kaum, überall in Deutschland gibt es Peter-Fechter-Straßen und -Plätze und -Wege und -Alleen - nur nicht in Berlin!

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