Leergelaufener Kanal bei Olfen in Höhe der Straßenüberführung
Am 11. und 15. Oktober 2005 ereigneten sich zwei Unfälle, die in ihrer Kombination zu einer noch nie dagewesenen Beeinträchtigung des Schiffsverkehrs in Deutschland und gesamt Europa führten. Der Dortmund-Ems-Kanal wurde an zwei Stellen unterbrochen mit der Folge, dass der gesamte Ost-West sowie der Nord-Süd-Verkehr zwischen den großen Zentren unterbrochen wurde. In Olfen brach ein Damm und der Kanal lief auf 7km Länge leer! Und während sich die Flotte der betroffenen Frachtschiffe noch auf dem 300km langen Umweg (siehe unten) befand, sank bei Rhede die Ilona-M.
Ibis beim ersten Hebeversuch an der Ilona-M, Foto: WSA Meppen
Das gesamte DEK-Teilstück mit den Anschlüssen Mittellandkanal und Küstenkanal und damit die Verbindung in den Osten (Weser, Elbe, Havel, Oder mit Berlin und dem gesamten Osten Europas) sowie nach Norden (Bremen, Hamburg, Kiel, Lübeck) waren abgeschnitten vom Rest der Republik (Süd-Deutschland, Rhein-Main, Ruhrgebiet) und auch Europas. Die Karte verdeutlicht den empfohlenen Umweg vor dem Sinken der Ilona-M: Von Olfen über den WDK auf den Rhein, stromab auf die IJssel und weiter bis aufs IJsselmeer (In Okotber und November nicht gerade ein gutes Revier für Binnenschiffe) und dann ab Lemmer auf dem Prinses-Margriet-Kanaal via Groningen auf den Dollart und über Emden wieder auf den DEK - Küsten- und Mittellandkanal wären so erreichbar gewesen - wenn nicht die Ilona-M bei Rhede gesunken wäre. Doch dazu unten mehr!
Der Dortmund-Ems-Kanal mit Sicherheitstor und Blick auf die Brückenbaustelle Lipperüberführung. Der Kanal liegt hier hoch über der Landschaft und überquert die Flussläufe von Lippe und Stever, zwei Sicherheitstore riegeln diesen Bereich für den Fall der Fälle ab. An der Lippeüberführung befindet sich eine Großbaustelle. Bei laufendem Schiffsverkehr wird die Brücke erneuert. Man schafft das, in dem man die neue Überführung in zwei Tröge teilt, während die Schifffahrt noch die alte Lippeüberführung nutzt, entsteht daneben der erste Stahtrog, danach sollen die Wasserfahrzeuge dann auf den neuen Trog umsteigen und abschließend wird das alte Bauwerk gegen den 2. Stahltrog ausgewechselt. Zum Zeitpunkt des Dammbruchs liegt der erste Trog bereits fertig auf seinen Widerlagern.
Wir waren nahe dran - in der Nacht auf den 10.10. 2005 haben wir in Datteln am Sportbootanleger übernachtet. In der ersten Morgendämmerung fiel mir beim zaghaften Blick nach draußen das Doppelrot am Sicherheitstor auf, um acht habe ich den Sonnenaufgang fotografiert und auch da waren die beiden roten Lichter (links in Bild) am Sicherheitstor mit auf dem Foto: Der Dortmund-Ems-Kanal ist gesperrt - aber nirgendwo war etwas davon zu hören. Der Nautische Informationsdienst (NIF) schweigt, Wasserstände, Rhein-Baustellen - alles da, aber von einer Sperrung der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung kein Wort. Beim Ablegen gegen 11.00 Uhr bin ich kurz am Sicherheitstor vorbeigefahren...
...und auch da ist das Doppelrot (am rechten Tor) deutlich zu sehen. Niemand der Kollegen am Sportbootsteg hat etwas von einer Sperrung gehört, der NIF schweigt sich aus. Die Sperrung, das erfahre ich später, ist langfristig geplant, man arbeitet am Straßentunnel Olfen-Selm bei km 26,7 - mir kam das damals irgendwie komisch vor und aus diesem Grund versuche ich den ganzen Tag, über UKW Neuigkeiten zu hören - und die sollten später dann ja auch kommen!
Die Baustelle an der Lippeüberführung ist gerade noch zu erkennen!
Wir sind auf dem WDK zu Tal gefahren und waren am Dienstag, 11.10.2005, in Dorsten. Irres Wetter, Sonne, warm, da kam im Oktober noch einmal das Sonnentopp zu Ehren. Irgendwann plötzlich die erste Meldung über UKW: DEK gesperrt - keine Erklärung, kein Hinweis auf die etwaige Dauer - nichts. Nachmittags haben wir uns über die vielen Einsatzfahrzeuge gewundert, überrall Martinshörner, ein Hubschrauber über den nahen Lippe - da rollte die Flutwelle an! Mittlerweile wurde man seitens der Revierzentrale deutlicher: Mehrere Tage Sperrung des DEK!
Am Mittwoch erst erfahren wir die ganze Wahrheit - und da kann man auch über den NIF ahnen, dass Schlimmes passiert ist, denn nun wird in jeder Nachricht darauf hingewiesen, dass die Sicherheitstore geschlossen werden mussten und der Kanal "bis auf Weiteres" gesperrt sei. Bei der Rückfahrt in Datteln: Alles voll, überall liegen Frachtschiffe, auf der anderen Seite muss es viel schlimmer sein, aus Richtung Münster sollen die Schiffe vor dem Uralt-Sicherheitstor Schlieker im Kanal liegen, da dort auch nicht gewendet werden kann. Pulks von Berufsschiffen kommen uns entgegen, als wir den DHK wieder zu Berg befahren, teilweise waren uns diese Pötte schon auf der Hinfahrt begegnet - nun also auf dem Um-Weg zu ihrem Ziel irgendwo jenseits der Bruchstelle. Für viele heißt es dann ein 2. Mal warten, denn auf der unteren Ems sinkt wenige Tage später die Ilone-M und versperrt so auch die Umleitung (unten gleich mehr)...
Der Blick aufs geschlossene Sicherheitstor Datteln: Die Baustelle jetzt bestens zu erkennen - auf dem Trockenen: Sieben Kanalkilometer leer gelaufen, zwischen den beiden Sichheitstoren auf Kilometer 21,7 und 29,4 kann man den Kanal zu Fuss durchqueren!
Der Gegenschuss aus der anderen Richtung zeigt den Kanaldurchquerer!
1,5 Millionen Kubikmeter Wasser sind in die Lippe geflossen und haben dabei allerlei Dinge mitgerissen, ein Fischsterben wenige Tage später wurde auf Bauchemikalien zurück geführt, die direkt von der Kanalbaustelle stammten. Dinge, für immer verloren geglaubt, tauchen wieder auf, das vierte Fahrrad, dass dieser Kollege da dem Kanalsumpf entriss...
Das ist oder war oder ist jetzt erst Recht die eigentliche Baustelle: Spundungsarbeiten an der Lippeüberquerung. Der schiefe Kran verursacht im Augenblick wohl die meisten Kopfschmerzen, man weiß gar nicht, wie man den stabilisieren soll. Ein Kran wurde mit in die Tiefe gerissen, dieser hier unterspült. Die 80-Tonnen-Last, die er im Augenblick des Unfalls hob, konnte noch kontrolliert wieder abgelegt werden. Die Tonnen stehen alle auf dem Kanalgrund, das Wasser ist etwa gut knöcheltief. Zwei Tage später gießt man einfach große Mengen an Beton auf das Fundament des großen 500-Tonnen-Kranes um ihn zu stabilisieren. Mit 45 LKW (!) werden die Teile für einen 750-Tonnen-Krans sowei zwei kleinerer Kräne angefahren, eine eigene Straße und Zufahrt zum Kanalbett muss geschaffen werden. Denn parallel wird auch die Sohle des Kanals wieder hergestellt - die starke Strömung hat dort für ein ziemliches Chaos gesorgt.
Das 40-Meter-Loch - die zerstörte Spundwand deutlich erkennbar. Die rote Tonne liegt auf dem Boden des Troges. Ein Mitarbeiter erzählt, es sei beim Spunden auf einmal alles so weich gewesen, dann habe man ein Boot angefordert um die Sache vom Wasser aus zu begutachten. Gerüchte schwirren durch die Menge. Auch von einer Kollision als mögliche Ursache berichtet der wdr - die Kripo ermittelt - zwei Schiffe sollen in der Engstelle kollidiert sein und dabei die Spundwand beschädigt haben.
Glücklicherweise konnte man sofort Wasser in die Lippe leiten, dafür ist ja gerade an dieser Stelle baulich alles vorbereitet. In der Zwischenzeit versuchte man verzweifelt, das Leck abzudichten - ohne Erfolg. Die entsprechende Pressemeldung als Fax lässt die Entmutigung erkennen, dürre Sätze, Datum fahrig mit Hand darüber gesetzt: Der Wasseraustritt konnte nicht gestoppt werden - damit nahm die Katastrophe ihren Lauf. Man musste nun abwarten, bis der Kanalabschnitt durch das Leck leer gelaufen war, glücklicherweise ohne Schäden zu verursachen.
Und im Café Promenade sitzen sie und erzählen es den viele Besuchern wie es war - nicht gestern, nein , da war keiner dabei - aber 1945, als alliierte Bomber die Kanalböschung zerstörten und sich das Wasser in die Natorper Senke ergoss, da erinnert man sich heute wieder an diesen schrecklichen Tag.
Während das Sperrtor Datteln keine Probleme bereitet, macht man sich zunächst Sorgen um ob das antike Sperrtor Schliecker in Olfen - wird es dem Druck standhalten? Das Sperrtor Lüdinghausen wird zusätzlich geschlossen - nach Überprüfung des Sperrtores Schlieker kann dann aber am 14.10. das Lüdinghausener Tor wieder geöffnet werden. Somit steht der Schifffahrt die Umschlagstelle Lüdinghausen bei km 34,7 zum Umladen auf LKW wieder zur Verfügung.
Umschlagstelle Lüdinghausen, Foto: WSA Rheine
Selbst Schwergut wird hier mit mobilen Kränen umgeladen, das obere Foto zeigt das das Löschen von Ethanol.
Foto: WSA Rheine
An der Baustelle selbst wird ab sofort rund um die Uhr gearbeitet. Eine Straße wird gebaut, die in den Kanal hineinführt. Im Minutentakt rollen LKW mit Schotter an, auch die Tonschicht der Sohle muss in großen Bereichen erneuert werden. Baggerponton und die Schuten, die im trockenen Kanalbett liegen, müssen geborgen werden. Auch dazu sind große Kräne nötig. Und zuletzt droht auch noch ein Stück Böschung abzustürzen, es muss stabilisiert werden. Der Querdamm soll die Baustelle trocken legen, damit man dort das Leck abdichten kann. Der 100m hohe Riesenkran schafft es dann im Verein mit zwei weiteren Kränen, den instabilen Baukran zu demontieren - alles sehr schwierig, man muss vorsichtig arbeiten und das dauert einfach länger als geplant.
Pressefoto WSA Rheine
Aber am 21.10. kann das WSA Rheine immerhin erklären, dass der Kanal voraussichtlich zwei Wochen vor Weihnachten wieder befahrbar ist - fast 10 Wochen Sperrung! Das Foto zeigt Chaos und Zerstörung durch die Welle: Brückenfundamente losgespült, Pontons auf dem Trockenen, Kanalsohle nicht mehr brauchbar. Und es gibt noch ein Problem: Der enorme Besucherverkehr! Eine Besucherplattform wird installiert, am 23.10., einem schönen Sonntag, werden hier hier mehr als 20.000 Besucher gezählt. Das Luftbild gibt den nötigen Überblick: Hinten liegt die alte Überfahrt, vorn im Bau der erste neue Trog. Rechts am Kran brach der Damm an der Nahtstelle zwischen Alt und Neu. Der Querdamm aus dem Bild oben ist rechts am Rand gut zu erkennen.
Pressefoto WSA Rheine
Bis zum Dezember müssen hier 18.000 Tonnen Bodenmaterial ausgehoben werden und 26.000 Tonnen Boden, 8.500 Tonnen Ton und 18.000 Tonnen Wasserbausteine eingebaut werden - eine unvorstellbare Menge an Material, die per LKW transportiert werden muss, alles im 24-Stunden-Betrieb - für die Anwohner eine viel höhere Belastung als durch den eigentlich geplanten Baustellenverkehr bei regulärem Bauablauf. Durch eine beispielhafte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit schafft es das WSA Rheine trotzdem, Akzeptanz für die Notwendigkeit der Maßnahme herzustellen.
Foto: WSA Rheine
Am 11.12.2005, 4.00 Uhr, werden die Schieber am Sicherheitstor Datteln per Handsteuerung geöffnet und es heißt endlich "Wasser marsch" - die Wiederbefüllung des Kanalabschnitts beginnt. Das Wasser stammt ausschließlich aus der Lippe, es wird in Hamm in den Datteln-Hamm-Kanal eingeleitet (Informationen über das Wassermanagement in meinem Reisebericht über den Datteln-Hamm-Kanal). Parallel läuft die Bauwerksprüfung - bleibt alles dicht? Am 13. wird zusätzlich durch die Schütze am Sperrtor Schlieker auch Wasser aus dem nördlichen Abschnitt genutzt - Weser-Wasser rückt über den Mittellandkanal nach und erzeugt durch seinen hohen Salzgehalt eine lange Salzfahne, die bis 20km nördlich der Schleuse Münster im DEK zu sehen ist! Um 9.30 Uhr am 14.12.2005 kann das WSA Rheine Vollzug melden: Kanalabschnitt gefüllt! Nun herrscht einen Tag Ruhe - schauen, ob´s irgendwo tropft....
Donnerstag, 15.12.2005, 7.00 Uhr heben sich die beiden die Sicherheitstore endlich, um 8.30 Uhr wird die Fahrt frei gegeben. Sechzehn Schiffe liegen in Olfen und werden vom WSA-Boot durch die Baustelle geleitet. Die Eva B. zwängt sich als erstes Schiff durch die Engstelle, gibt einmal "Lang", die Bauarbeiter grüßen zurück. Seit Monaten hat alles hier auf diesen Moment gewartet. Die Wasserschutzpolizei regelt die weitere Abwicklung und dabei gibt es noch Krach in letzter Sekunde (Live vom wdr übertragen - fast wie eine Doku-Soap): Albrecht Scheubner hat es eilig mit seiner Jenny, denn in dem zu einem Strand umgebauten Laderaum des Ausstellungsschiffes soll am nächsten Abend in Hannover eine große Party steigen, nicht auszudenken, wenn er nicht rechtzeitig vor Ort ist! Er hat daher vom WSA die Erlaubnis bekommen, abzulegen sobald die ersten Schiffe aus der Gegenrichtung beim ihm eintreffen. Das macht er auch - nur die WaSchPo sieht das etwas anders und fordert ihn auf, zunächst den gesamten Konvoi passieren zu lassen. Wütend knallt er den Höhrer in den Halter und poltert los im Cockpit der Jenny - das kostet mindestens weitere 15 Minuten - sein Zeitplan wird immer knapper. Hoffen wir, dass die Schleusen bis Hannover für die Jenny günstig stehen, dann klappt´s auch mit der Party...
Der Stau ist schnell abgebaut. Manche Schiffer haben in den letzten Wochen mehrfach den Umweg über Rhein und IJsselmeer nehmen müssen, um Auftraggeber und feste Aufträge nicht zu verlieren - endlich läuft alles wieder seinen gewohnten Weg! Doch damit ist es nicht zu Ende, im März 2006 muss nachgearbeitet werden, für eine Woche will man den Kanal sperren und letzte Abdichtungsarbeiten ausführen - es werden vier Wochen, das Wasser muss erneut komplett abgelassen werden. Die Binnenschiffer beklagen die "klatastrophale Informationspolitik", verständlich denn sie wurden wiederum eiskalt erwischt. Und der Umweg über IJsselmeer und die untere Ems ist nur für Schiffe bis 100m Länge und 9,60m Breite möglich.
Eines steht auf jeden Fall fest: Die Baustelle bleibt uns erhalten! Ab Sommer 2006 wird der neue Trog (rechts) befahrbar sein, dann wird "umgeschaltet", die alte Überführung abgerissen und ebenfalls durch einen neuen Trog ersetzt. Irgendwann 2007/2008 können sich dann hier auch wieder Schiffe begegnen --- das war jedenfalls der Stand 2006.
Aktueller Nachtrag Dezember 2009: Durch den Zwang der schnellen Reparatur wurden Fakten geschaffen, die den weiteren Baufortschritt, vor allem aber den Bau des zweiten Troges stark behindern - daher ist selbst jetzt, Ende 2009, noch kein Datum für den 2. Trog bekannt. Die Schifffahrt behilft sich weiter mit dem fertigen ersten Trog und es ist absehbar, dass es zu weiteren Sperrungen kommen wird um die Folgen des Dammbruchs endgültig zu beseitigen und den Bau des 2. Troges möglich zu machen. Wer hätte das gedacht, damals im des Jahres 2005 als wir in Dorsten auf dem Kanal in der Sonne lagen und die Martinshörner der Einsatzfahrzeuge hörten???
Pressefoto WSA Rheine
Doch zurück zum Dammbruch: Wenige Tage nach dem Unglück bei Olfen kracht fünf Kilometer vor Papenburg im dichten Nebel die Ilona-M gegen das Ufer, wird vom Ebbstrom quer gedrückt und liegt so auf beiden Seiten fest - bei Niedrigwasser knickt das Schiff in der Mitte ein - mehr dazu auf der nächsten Seite!
Die Ilona-M sinkt bei Papenburg - zweiter Schauplatz des Dramas, Foto: WSA Meppen
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