Morgens kurzer Abstecher mit dem Rad zur Einmündung der Sagter Ems - wenige Stunden vor Hochwasser sieht es ganz manierlich aus, was sich allerdings nur wenige Zentimeter unter der Wasseroberfläche verbirgt, zeigt ein Blick...
...auf die gleiche Situation bei Niedrigwasser. Die Schlammbank ragt weit in die Mitte hinein! Heute geht es in das Barßeler Tief nach Barßel. So eine Fahrt ist nur von etwa zwei Stunden vor bis zwei Stunden nach Hochwasser möglich. Und so wie ich es gelernt habe, will ich natürlich vor Hochwasser fahren - sitzt man dann man wirklich fest besteht die Hoffnung, bei weiter steigendem Wasser wieder frei zu kommen. Für 8.30 Uhr habe ich daher die Klappbrücke Roggenberg bestellt. Und noch etwas gibt es: Die Ferla, gestern mit defekter Wasserpumpe aus dem Elisabeth-Fehn-Kanal geschleppt, läuft mit. Sie kann ihren Hilfsaußenborder nutzen und so ihren Heimathafen Barßel erreichen. Für Notfälle kann für etwa 10 Minuten auch die Hauptmaschine laufen. Wir spielen für die Ferla die Sicherheitseskorte - für alle Fälle. Im Gegenzug übernimmt Skipper Tomdi für uns im Barßeler Tief den Pfadfinder, dort wird die Ferla vorlaufen.
Es geht los, die Frela legt ab, nach dem wir vorbei gefahren sind - so wie abgesprochen. Inge ist vorn auf dem Vordeck für die Navigation zuständig, meist muss sie aber an der Seite stehen, der Skipper kann sonst ihre Anweisungen bei laufendem Motor nicht verstehen. Wir halten die Luft an, denn Tomdi braucht einige Minuten, bis er das Boot richtig im Griff hat. Der Außenborder sitzt an der Außenkante der Badeplattform, das macht das Steuern auch nicht einfacher - aber er bekommt die Frela auf Kurs und kann sie vor allem auch auf Kurs halten.
Wir sind mittlerweile pünktlich an der Drehbrücke Roggenberg angekommen, tatsächlich ist die Brückenwärterin auch schon da, im starken Gegenlicht der Morgensonne ist nur ihr Umriss erkennbar. Die Brücke hebt sich. "Dreht langsam" steht überall in den Revierbeschreibungen - das können wir bestätigen. Mit unendlicher Langsamkeit kommt die Fahrbahn in Bewegung und gibt langsam das Dreyschlot frei. Die Tremonia treibt schon eine ganze Weile im Strom, das Wasser läuft auf, zuletzt muss die Maschine sogar rückwärts gehen. Trotzdem ist es uns ganz recht dass es so langsam geht, denn die Frela ist noch nicht um die Ecke gekommen.
Wir laufen problemlos durch, rufen der Brückenwärterin zu, dass noch ein langsames Boot folgt und lassen uns treiben. Als ich versuche, mich mit dem Bugstrahlruder "ganz einfach" an den Dalben zu hangeln funktioniert das nicht - es läuft zwar nach Steuerbord aber nicht nach Backbord - Panik bei mir. Ich benutze es zwar nur selten aber gerade hier in der Strömung wäre es sehr nützlich gewesen. Gerade jetzt. Die Tremonia, sonst ein Muster an Zuverlässigkeit, lässt mich hängen! Am Abend stelle ich fest, dass es nur ein Kontaktproblem war, Kontaktspray auf einen klitzekleinen Kinder-Vielfachstecker und schon läuft der Laden wieder. Warum, verdammt, sitzt da nicht eine anständige Klemmleiste mit handfesten und unverwüstlichen Anschlüssen? Alles Kinderkram was da zum Teil eingebaut wird, nur weil es ein paar Minuten schneller geht! Doch zurück zum Dreyschlot: Wo bleiben die Barßler???? Endlich, langsam kommt die Frela um die Ecke. Die nervös gewordenen Brückenfrau hatte schon gerufen, wann der denn käme, der da noch kommen soll - nun kann sie ihn sehen und ihr Gewissen wird leichter angesichts der mittlerweile acht PKWs - kein Grund zur Aufregung, am Ruiten Aa Kanaal habe ich ein Vielfaches an Autos aufgehalten....
Sicht der Autofahrer auf die Klappbrücke Roggenberg - immerhin neun Tonnen kann sie vertragen, bei militärischen Fahrzeugen darf es auch gern etwas mehr sein.
Die traurige Wirklichkeit im Barßeler Tief: Die Navigation ist etwas speziell. Zwar gibt es Stangen und alte, angemalte Kanister als eine Art Tonnen für Arme, aber: Auf fast allen Stangen fehlen die Toppzeichen, auf die auch in der aktuellen Beschreibung hingewiesen wird, ich zitiere: "...ist das Fahrwasser vom Dreyschlot bis Barßel durch Stangen mit Toppzeichen besonders gekennzeichnet. Von der Leda kommend grüne Toppzeichen mit der Spitze nach obenfür die Steuerbordseite..." - doch die Realität sieht anders aus. Ich akzeptiere ja, dass die Zeichen von freiwilligen Helfern angebracht wurden, dass einige von "wilden MoBo-Fahrern" und dicken Möwen zerstört wurden - die Gemeinde hatte lediglich Toppzeichen aus viel zu dünnem Plexiglas spendiert. Aber ich denke, wer Revierfremde in dieses schöne Revier locken will, der muss für eine zuverlässige Betonnung sorgen. Immerhin ist das ein Tidenrevier. Bleibe ich in irgend einem Kanal stecken, kann ich warten, bis mich jemand herauszieht. Passiert mir das in strömendem Gewässer, muss das immer noch keine Katastrophe sein, auch hier kann ich mich mit ein wenig Glück über die Zeit retten bis Hilfe kommt. Im Tidengewässer aber habe ich nicht nur die Strömung, da habe ich auch die Zeit als Gegner und wenn ich es nicht selbst schaffe und keine Hilfe kommt - und hier ist wenig Verkehr im Barßeler Tief - sitze ich irgendwann auf dem Schiet, das Wasser läuft ab und ich habe dann ein echtes Problem.
Gehört auch zu den Barßeler Besonderheiten: Stumpfe grüne Tonnen, einige davon sind noch nicht ein mal mehr grün. Genau so gibt es rote Tonnen mit Spitze - da sind Dinge, die in einem anspruchsvollen Revier wie dem Barßeler Tief nichts zu suchen haben.
Was bringt mir eine einsame Stange mitten im Fahrwasser? Das ist unprofessionell und wenig hilfreich - wäre eine schöne Aufgabe in einem Führerscheinkurs so nach dem Motto: "Was will mir diese Stange sagen?" Unterwegs muss ich schnell entscheiden und da gibt es dann nur rechts oder links.
Rote Spitztonne, nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme
Das Tief ist ein beliebtes Kanurevier - immer wieder gibt es Begegnungen mit Kanugruppen, die sich hier, kluge Menschen eben, vom auflaufenden Wasser nach Barßel schieben lassen. Noch eine gute Stunde läuft die Flut, bis dahin werden sie ihren Zielhafen locker erreicht haben.
Kilometer 2 - diese Situation ist eindeutig, mit dieser Solitär-Stange kann jeder Bootsfahrer leben, auch wenn sie mit grünem Toppzeichen einfach schöner wäre. Hier muss natürlich die Außenkurve großzügig ausgefahren werden, klassische Situation.
An dieser Verzweigung hätte ich mir einen deutlichen Hinweis auf die Fahrtrichtung gewünscht. In der vom Verein "Angela von Barßel e.V." herausgegebenen Karte ist dieser Verlauf zwar gut wieder zu finden - doch das muss auch draußen möglich sein. Es folgt von den Revierkundigen immer der berechtigte Hinweis, dass ja der Gewässerverlauf eigentlich deutlich zeigen würde, wo es lang gehen muss - doch uneigentlich ist das eben nicht immer so klar und eindeutig der Fall. Einmal ist auch der revierkundige Tomdi falsch gefahren und auf der Rückfahrt hat es auch mich einmal erwischt. Gut, nichts passiert, war ja auch fast Hochwasser - aber anderen kann es anders gehen.
Wunderschönes Barßeler Tief - Ostfrieslands Wasserwege haben es mir angetan - Stopp, schwerer Fehler, denn eigentlich bin ich gar nicht so richtig in Ostfriesland, eigentlich bin ich im Münsterland, dem Oldenburger Münsterland. Darauf machen mich Freunde aufmerksam, die hier regelmäßig ihre Ferien verbringen und mir nun natürlich ihre schöne zweite Heimat zeigen.
Auch das eine klassische Situation zum Nachdenken - bei ablaufendem Wasser kann man es einigermaßen erkennen, doch als ich diese Situation am Abend vorher bei Hochwasser sah, schauten nur einige wenige Halme aus dem Wasser und ich hatte erst gedacht, man müsse zwischen den grünen Stumpf(!)tonnen und den Schilfhalmen fahren, hätte vom Verlauf des Tiefs hinkommen können - denn da sah es nach einer Fahrrinne aus - böser Fehler wie man bei weniger Wasser deutlich sieht, man muss natürlich Tonnen und Grasinsel an Steuerbord liegen lassen.
Erstaunliche Tiefen - bis 5,60 zeigt mein Echolot an, unter Kiel, also "netto" 6,50 Meter - und das sehr dicht am Rand. Ich hätte offen gestanden nicht gedacht, dass das Tief so tief ist.
Hier ist die Navigation einfach - die Stangen bleiben natürlich an Steuerbord und man fährt die Kurve schön aus - ein Schöpfwerk kommt an voraus in Sicht...
...aber man sieht gleich, dass es nicht ein x-beliebiges Schöpfwerk ist - irgend etwas ist anders, das große Fenster oben ist völlig untypisch für diese überall herum stehenden Gebäude. Ein späterer Besuch von Land aus lüftet das Geheimnis:
Dies ist ein Landschaftsfenster - an fünf Stellen hat die Gemeinde Tange Türme errichtet bzw. genutzt - an diesem Punkt ein aktives Schöpfwerk mit Blick auf das Barßeler Tief zum Thema "Wasser", Blick aus dem Landschaftsfenster auf das Tief.
Geschafft, Hafen Barßel, wir laufen ein. Links der Leuchtturm - wem er bekannt vorkommt: Roter Sand, schöne Nachbildung. Uns fällt ein Stein vom Herzen, die Frela ist gut durchgekommen, der Außenborder hat gehalten und Tomdi konnte sein Boot gut und sicher steuern - wir mussten nicht helfen, denn das wäre, Hand aufs Herz, in der Strömung bei dem engen Fahrwasser schwierig geworden.
Die Tremonia findet einen Liegeplatz direkt am überdachten Vereins-Ponton, Wasser, Strom - alles da. Leider klappert der Steg vernehmlich, wenn sich jemand auf ihm bewegt. Da aber auf der anderen Seite ein Dauerlieger fest gemacht hat, sollte das kein Problem sein. Bei zwei Reisebooten (vielleicht Familien mit Kinder oder so) stelle ich mir das aber etwas nervig vor. Egal - alles prima in Barßel.
Gemeinsam sitzen wir auf dem Vereins-Ponton beim gemütlichen Frühstück. Inge und Tomdi bedanken sich für die Unterstützung, die ja nur moralischer Art war aber immerhin ein gewisses Sicherheitsgefühl gebracht hat. Gut, wenn man einen Plan B in der Hinterhand hat, auch wenn der - das haben die B-Pläne ja so an sich, sonst wären es ja die A-Pläne - mit einigen Fragezeichen versehen ist.
Der Hafen Barßel ist einfach schön! Vom Aussichtstrum hat man einen tollen Blick auf die gesamte Anlage, links der 14 Meter hohe Leuchtturm "Barßeler Roter Sand", den der Schifferverein Barßel/Barßeler Moor 1986 erbaut hat. Ganz links das "Dorf" - Ortsmittelpunkt des Städtchens mit mehreren Discountern und einer Drei-Sterne-Eisdiele - siehe unten.
Blick von der anderen Seite - Wohnmobilhafen, Kanustation, Aussichtsturm - alles sehr schön. Ich kenne keinen Hafen, der derart viele schöne Kleinigkeiten aufweist, die einen Aufenthalt angenehm machen, die vielen Sitzplätze, der schöne Wasserspielplatz für Kinder, die witzige Beleuchtung abends - hier ist einfach mit viel Liebe zum Detail ein maritimes Ziel erster Klasse entstanden, dass auch den vielen Radfahrern und Wohnmobilisten zu gefallen scheint. Ganz großes Kompliment.
Blick in Richtung Barßeler Tief, gerade kommt die Spitzhörn, lokales Fahrgastschiff um die Ecke. Das Foto zeigt, dass das Vorurteil über Ostfriesland - alles nur langweiliges plattes Land - absolut daneben liegt. Hier zeigt sich eine bewegte und biologisch wertvolle Kulturlandschaft, die in weiten Teilen noch sehr natürlich ist.
Und noch ein Vorurteil möchte ich an dieser Stelle zerstören: Den Menschen hier in Ostfriesland wird eine gewisse Sturheit gepaart mit einem nicht gerade impulsiven Charakter nachgesagt oder, was soll ich drum herum schreiben, im Klartext: Die Ostfriesen sind einfach mundfaul, muffelig und irgendwie nur wenig umgänglich. Ehrlich: Nirgendwo wurde ich freundlicher und öfter begrüßt, das knappe Moin, oft begleitet von einem kleinen Lächeln klingt mir noch immer im Ohr. Kinder und Jugendliche grüßen ebenso wie die Erwachsenen und wenn man an einer einheimischen Fahrradkolonne vorbeifährt erinnert das Moin, Moin, Moin an die Reklame einer Brauerei aus dem hohen Norden. Wobei, das gebe ich zu, dieser Dialekt gefällt mir, es ist einfach unnachahmlich wie hier der Name meines Schiffes ausgesprochen wird: Trremounia - hört sich sehr schön an. Was will ich damit sagen: Viele Kontakte mit Menschen und immer freundliche Reaktionen, nix von stur oder mundfaul, ich habe eher das Gefühl, dass man hier freundlicher ist als anderswo - vergesst also all´ die blöden Vorurteile. Nach dem zweiten freundlichen Satz sind sie kaum noch zu stoppen, Interesse an ihrer Arbeit oder gar ein nettes Wort zur einmaligen Landschaft hier im Norden lässt alle Dämme brechen.
Moin auch auf dem Kassendisplay - Cosmas-Apotheke in Barßel